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Verbände erweitern Reaktivierungsvorschläge

(Verkehrspolitik) Autor:Stefan Hennigfeld

Die steigenden Regionalisierungsgelder werden es in den kommenden Jahren ermöglichen, erhaltene Eisenbahnstrecken für den Personenverkehr zu reaktivieren. Hierfür sind zwei Voraussetzungen zu erfüllen: Zum einen muss man sich darauf verlassen können, dass die Regionalisierungsgelder nicht gesenkt werden. Diese sind zwar de jure langfristig festgeschrieben, allerdings können sich Bund und Länder jederzeit gemeinsam auf eine Senkung einigen, etwa indem man einfach einem Teil der Gelder die Zweckbindung streicht. Die zweite Voraussetzung ist, dass es auch ausreichend Mitarbeiter bei den Verkehrsunternehmen gibt, um zu verhindern, dass man wirklich zusätzliche Züge fahren lassen kann und diese nicht einfach nur im Fahrplan stehen.

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und die Allianz pro Schiene haben ihre Vorschläge für die Reaktivierung von stillgelegten Eisenbahnstrecken in Deutschland aktualisiert und erweitert. Laut der neuen VDV-Reaktivierungsliste schlagen die Verbände 238 Strecken mit insgesamt 4.016 km Länge zur Reaktivierung vor.

„Damit könnten 291 Städte und Gemeinden mit mehr als drei Millionen Menschen wieder ans deutsche Schienennetz angebunden werden und die Attraktivität des klimafreundlichen Verkehrsträgers Bahn somit weiter steigern“, so Jörgen Boße, Vorsitzender des VDV-Ausschusses für Eisenbahninfrastruktur und Geschäftsführer der Usedomer Bäderbahn.

Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, betont: „Mit der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken können wir den jahrzehntelangen Rückzug der Schiene aus der Fläche stoppen und umdrehen. Das ist ein Erfolgsrezept für einen besseren Verkehrsmix in der Zukunft.“ In der neuen Auflage der Reaktivierungsvorschläge sind 55 weitere Projekte mit einer Gesamtlänge von 963 Kilometern in ganz Deutschland hinzugekommen. Allein durch die Reaktivierung der fünf Strecken zu den bevölkerungsreichsten Mittelzentren könnten bereits über 300.000 Menschen von neuen Bahnverbindungen profitieren.

„Wenn die Eisenbahn das Verkehrsmittel des 21. Jahrhunderts werden soll, dann müssen wir das ganze Land im Blick haben und nicht nur die Großstädte und Ballungsräume oder den Fernverkehr. In Deutschland leben rund siebzig Prozent der Menschen in Mittel- und Kleinstädten oder im ländlichen Raum. Für diese große Mehrheit der Bevölkerung benötigen wir effiziente und umweltfreundliche Angebote im Schienenverkehr. Es geht dabei um Klimaschutz, aber auch um die Gleichwertigkeit von Lebensverhältnissen“, so Boße. Dirk Flege: „Innerhalb eines Jahres ist bundesweit auf sechs Strecken der Personenverkehr wiederaufgenommen worden. Die Reaktivierung ist eine riesige Chance, um die Schieneninfrastruktur rasch fit zu machen für den Transport von mehr Fahrgästen und mehr Gütern.“

Laut Deutschland-Karte der Allianz pro Schiene wurden zwischen 1994 und 2020 Verbindungen mit insgesamt 933 Kilometer Länge für den Personenverkehr und 364 Kilometer für den Güterverkehr wieder in Betrieb genommen. Allerdings wurden in diesem Zeitraum mit über 3.600 Kilometern deutlich mehr Strecken im Personenverkehr abbestellt als reaktiviert. Beim Güterverkehr fällt der Saldo ebenfalls klar negativ aus.

Insgesamt hat das Schienennetz derzeit eine Streckenlänge von rund 38.500 Kilometer – im Bahnreform-Jahr 1994 waren es noch 44.600 Kilometer. Nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung gibt es für die gemeinsame Initiative von VDV und Allianz pro Schiene zur Reaktivierung von stillgelegten Eisenbahnstrecken großen Zuspruch.

Auch politisch ist das Ansinnen der beiden Bahnverbände erfolgreich. Mit der Änderung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) wurden seitens des Bundes die Rahmenbedingungen für Reaktivierungsprojekte im Personenverkehr erheblich verbessert. Dies gilt nicht nur für die Höhe der bereitgestellten Mittel, sondern auch für die Förderbedingungen.

„Diese positive Entwicklung führt zu umfangreichen Aktivitäten auf kommunaler und Landesebene, um schneller förderfähige Reaktivierungen zu definieren. Wir rechnen damit, dass dadurch die Wiederbelebung stillgelegter Strecken in den kommenden Jahren erheblich an Fahrt aufnimmt“, so Boße. Allianz pro Schiene-Geschäftsführer Dirk Flege: „Die Bundesregierung will bis 2030 die Fahrgastzahlen auf der Schiene verdoppeln und den Marktanteil des Schienengüterverkehrs auf 25 Prozent erhöhen. Dies wird nur funktionieren mit einem konsequenten Ausbau der Infrastruktur.“




Stefan Hennigfeld
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