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VCD kritisiert Vergabepolitik in Baden-Württemberg

(Baden-Württemberg) Autor:Stefan Hennigfeld

Seit Sommer 2019 gibt es im SPNV in Baden-Württemberg auf den meisten Strecken mit neuen Betreibern große Probleme und viele Beschwerden der betroffenen Fahrgäste. „Zugausfälle, zu geringe Kapazitäten und Verspätungen sind auf der Residenz-, der Franken-, Filstalbahn sowie der Breisgau-S-Bahn seit Wochen, teilweise Monate tägliches Erlebnis der Pendler“, stellt Matthias Lieb, Landesvorsitzender des ökologischen Verkehrsclub VCD fest.

Für ihn stellt sich die Frage, wie dies geschehen konnte, war doch erklärtes Ziel der Landesregierung und des Verkehrsministers, mit neuen Zügen und mehr Verbindungen die Menschen zum Umsteigen auf Bus und Bahn zu bewegen. Verständlich sei, dass im Landtag in erster Linie der Verkehrsminister politisch verantwortlich gemacht werde, doch was sind Versäumnisse dieser Regierung und was ist von anderer Seite zu vertreten, fragt sich der VCD.

Tatsächlich wurde in den letzten rund achtzig Jahren Verkehrspolitik überwiegend Politik für das Auto gemacht, die Bahn kam weitgehend „unter die Räder“ und wurde klein- und kaputtgespart. Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) habe mit seiner, so Lieb wörtlich, „bahnfreundlichen Politik wie der Einführung des BW-Tarifs, der Initiative für Streckenreaktivierungen und auch dem Metropol-Express-Konzept rund um Stuttgart wichtige und richtige Entscheidungen getroffen.“

„Andere Bundesländer und die dortigen Fahrgäste haben die jetzigen Erfahrungen mit Betriebsübernahmen durch neue Betreiber mit neuen Fahrzeugen schon vor Jahren gemacht, auch dort hat es oft monatelang ähnliche Probleme gegeben“, moniert Matthias Lieb. In Baden-Württemberg habe aus Sicht des VCD zur verdeckten Finanzierung von Stuttgart 21 die frühere schwarz-gelbe Landesregierung jedoch jahrelang den Wettbewerb ausgebremst, in dem zu überhöhten Preisen eine Direktvergabe an DB Regio erfolgte.

Somit wurden im großen Stil erst ab 2011 wettbewerbliche Verfahren vorbereitet, die seit 2018 in die Umsetzung kämen. Betrachte man die letzten Betriebsaufnahmen, so zeige sich, dass die Übernahme der Strecke Aalen – Ulm durch die landeseigene SWEG geräuschlos erfolgte und diese Linie ganz oben auf der Pünktlichkeitsstatistik stehe, so der VCD. Dort erfolgte die Auslieferung der Fahrzeuge auch pünktlich.

Erfolgreich laufe ebenfalls das Netz Gäu-Murr, das DB Regio gewonnen habe. Die neuen Betreiber Abellio und Go-Ahead hätten Neufahrzeuge bei Bombardier bzw. Stadler bestellt, diese jedoch nicht rechtzeitig, dafür mit vielen Mängeln erhalten. Diese Fahrzeugmängel führten zu Zugausfällen und Verspätungen (Türstörungen), was wiederum die Fahrgäste verärgere, die ihren Unmut das Fahrpersonal spüren ließen.

Bei ohnehin angespannter Personallage sei es dann kein Wunder, wenn die Motivation des Personals sinke und sich Zugbegleiter und Triebfahrzeugführer krank melden würden – was dann zu noch mehr Zugausfällen führe, beschreibt Lieb diesen Teufelskreis. Rund um Stuttgart kämen noch die Probleme durch den Bau von Stuttgart 21 erschwerend hinzu, so der VCD.

Im Breisgau sei ein dichter Fahrplan auf eingleisigen Strecken ohne Reserven der Hauptgrund für die Probleme, dort ist DB Regio unterwegs. Der VCD hat den Eindruck, dass den neuen Unternehmen noch die entsprechende Erfahrung und das Verständnis fehle, die richtige Disposition zu treffen. „Große Defizite bestehen weiterhin bei der Kommunikation von kleinen und größeren Störungen“, beklagt Matthias Lieb.

Hier müssen die Leitzentralen der neuen Betreiber mit entsprechendem Personal aufgestockt werden, fordert der VCD. Auch das Verkehrsministerium und die NVBW nimmt der VCD in die Pflicht. Matthias Lieb: „Gleichzeitig Betreiber, Fahrzeuge und Fahrpläne zu ändern, überfordert alle Beteiligte. Hier sollte zugunsten von mehr Stabilität mehr Zeit für die Umsetzung neuer Konzepte eingeräumt werden, auch wenn die Politik natürlich gerne rasche Erfolge sehen möchte“.

Aus Sicht des VCD zeigten die Probleme im Bahnverkehr, die in ähnlicher Weise auch in anderen Bundesländern und im Fernverkehr auftreten würden, dass mit der Bahnreform eine Zersplitterung der Zuständigkeiten einhergegangen sei, die einer Problemlösung im Wege stehe, da unterschiedliche (finanzielle) Interessen nicht notwendigerweise zum für den Fahrgast besten Angebot führen würden. Die auf Bundesebene inzwischen angestoßene Diskussion über eine Neuausrichtung der Organisation des Bahnverkehrs in Deutschland ist deshalb aus VCD-Sicht dringend geboten.




Stefan Hennigfeld
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