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Hohe Umsteigebereitschaft in Hamburg

(Hamburg) Autor:Stefan Hennigfeld

Von Mitte Februar bis Mitte Mai haben sieben ausgewählte Hamburger Haushalte ihre eigene Verkehrswende geprobt. Während überall davon die Rede ist: diese Sieben haben mit tiefsitzenden Gewohnheiten gebrochen und den Ernstfall getestet – wie ist es, sich ohne eigenes Auto in der Stadt zu bewegen: allein oder mit ganzer Familie, mit leichtem Gepäck oder Großeinkauf, ins Nachbarquartier oder raus ins Umland, gehetzt oder gemütlich – und alles bei norddeutschem Frühlingswetter.

Das Ergebnis übertrifft alle Erwartungen: Vier von Sieben wollen sich nach den Erfahrungen der drei Monate vom eigenen Auto verabschieden – es entweder so schnell wie möglich verkaufen oder den Leasingvertrag nicht verlängern. Einer wird seinen 13 Jahre alten 3er BMW nur bis zur nächsten größeren Reparatur fahren und dann in die autofreie Zukunft starten. Diese Fünf sind allerdings entweder Singles oder Paare, die beiden Familien würden gern, können aber nicht auf ihr Auto verzichten.

Die Aktion wurde gemeinsam von der Umweltbehörde und dem Hamburger Abendblatt durchgetaktet: mit Kandidatensuche, Werksvertrag, abgeschlossenem Stellplatz, Schlüsselabgabe, Vorbereitungsworkshop und sozialwissenschaftlicher Begleitung. Die Erfahrungen von Februar bis Mai ergeben eine Doppelliste: einerseits mit Tipps, die sofort Lust auf ein Leben ohne Auto machen, andererseits mit ärgerlichen Schwierigkeiten dabei, die schon in den äußeren Stadtbezirken anfangen.

Kurz und knapp: Hat man sich nach der ersten, maximal zweiten Umstellungswoche in die Angebote von HVV bis Carsharing eingefuchst, ist es für Singles und Paare in der Innenstadt fast ein Kinderspiel. Ab Harburg, Neuallermöhe und Othmarschen beginnt allerdings mobilitätstechnisch die Servicewüste. Der öffentliche Nahverkehr und die privaten Mobilitätsanbieter sind im weiter draußen wie verfeindete Geschwister.

Hier fehlt so gut wie jede Abstimmung. Vier der Teilnehmer leben in der Innenstadt (Ottensen, Barmbek, Hoheluft und Hohenfelde). Alle wollen sich vom eigenen Auto trennen oder haben das sogar schon hinter sich. Im Allgemeinen werden Bus, Bahn, StadtRad, Carsharing und E-Roller bis auf Ausnahmen gelobt. Über Vergleichsportale im Internet lassen sich bei guter Vorausplanung preisgünstige Mietwagen bekommen, bei einzelnen Carsharern kommt man sogar wie beim eigenen Auto von einer Minute auf die andere an einen Leihwagen.

Enger wird es beim Transport großer Lasten, z.B. mit der Pflanzerde für den Balkon. Unverständlich ist, dass die Alsterfähren nicht zum HVV gehören, alle Elbfähren aber schon immer. Die HVV-Tarife sind immer noch zu unübersichtlich und die 1,70 für eine Einzelfahrt zu hoch. Großes Vorbild ist die 365 Euro-Jahreskarte in Wien, für die man in Hamburg fast das Dreifache zahlen müsste. Ein Ehepaar mit Kindern aus dem Haus wohnt in Harburg. Ganz früher standen zwei Autos in der Tiefgarage, derzeit noch eins, und das wird jetzt verkauft.

Die beiden sind schon früher viel Rad gefahren und haben sich während des Testes nochmals gesteigert. Sie haben im morgendlichen Berufsverkehr Strecken mit dem Rad getestet, die sie vorher mit dem Auto gefahren sind. Ergebnis: Das Rad ist genauso schnell. Allerdings enden Fahrradwege immer noch plötzlich am Straßenrand und zwingen zum Seitenwechsel – und schon ist die nervige Fahrtunterbrechung da.

Ampelschaltungen denken fast nur an Autofahrer, was für Radfahrer zu ärgerlichen Wartezeiten nach kurzen Abständen führt. Dafür ist das Busnetz besser als erwartet. Besonders die Linie E 30 von Harburg nach Bergedorf überzeugt, weil sie zwischen den Haltestellen direkt verkehrt und damit den sonst üblichen Umweg über den Hauptbahnhof erspart.

Fast alle Teilnehmer finden das Anmelden bei den Carsharern noch zu kompliziert, und am Ende hat man – bis auf switchh – so viele Apps auf dem Handy wie genutzte Anbieter. Diese Schwemme sollte durch ein Anforderungsportal für Mobilität ersetzt werden, das eine einzige, stadtweite App eröffnet: Sie fragt den Nutzer zuerst nach Zeit, Ziel, Personenzahl, Gepäck usw. und zeigt dann nach diesen Merkmalen die gesamte Strecke inklusive Alternativen an.

Kritisiert wird auch, dass die Geschäftsgebiete der Carsharing-Anbieter viel zu begrenzt sind. In der Innenstadt überlagern sie sich, aber schon ab Hamm südlich der B5 steht kein car2go-Auto mehr, DriveNow fährt nur nördlich der Elbe und Oply betreibt außerhalb der City nur vier kleine, isolierte Geschäftsbereiche. Hier ist noch viel Potential drin.



Stefan Hennigfeld
Redaktioneller Leiter
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