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Neue Studie zur Eisenbahnliberalisierung

29.05.24

Die österreichische Initiative „Unsere Bahnen“ und die im ÖGB organisierte Gewerkschaft Vida haben bei der Universität Köln eine Studie zur Funktionsweise des Wettbewerbs auf der Schiene beauftragt. Ergebnis: Wettbewerb schade der Schiene und eine einheitliche Staatseisenbahn, wie die ÖBB, sei deutlich besser. Nach zwanzig Jahren Eisenbahnliberalisierung in der Europäischen Union sah man nun die Zeit gekommen, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Zwar wurde die Eisenbahn in Deutschland bereits vor dreißig Jahren liberalisiert, die zwingende Vorgabe zum freien Netzzugang gibt es auf EU-Ebene jedoch erst seit 2004.

Bis Ende 1993 waren Netz und Betrieb unteilbar und die alte Bundesbahn hat keine externen Unternehmen auf ihrem Netz fahren lassen. Das hat sich mit der Eisenbahnreform und dem Start der Regionalisierung geändert, mit dem Abellio-Urteil im Jahr 2011 sind Direktvergaben in Deutschland seitdem nicht mehr möglich. Hier sieht die Europäische Verordnung vor, dass es Direktvergaben zwar grundsätzlich geben kann, jedoch nur dann, wenn dies nicht nach nationalem Recht untersagt ist. Hier hat man den verschiedenen Stadien der Marktöffnung in den unterschiedlichen Ländern Rechnung getragen. Das jedoch wird in der aktuellen Studie kritisiert.

Studienleiter Tim Engartner, Professor für Sozialwissenschaften an der Universität zu Köln, kam zum Schluss: „Liberalisierungen, Privatisierungen und Deregulierungen in anderen Sektoren der öffentlichen Daseinsvorsorge lassen erkennen, dass die vermeintlich belebende Kraft des Wettbewerbs tatsächlich eher Verwerfungen auslöst. Das von der EU-Kommission verfolgte Ziel, wonach Eisenbahnverkehrsunternehmen markt- und gewinnorientiert im Wettbewerb agieren sollen, verkennt die zahlreichen anerkannten Besonderheiten des Schienenverkehrssystems wie etwa Trassenvergabe oder integraler Taktfahrplan.“

„Ohne ein technisch funktionierendes, preislich attraktives und flächendeckendes Bahnsystem lässt sich die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene als eine der zentralen Weichenstellungen für den European Green Deal nicht umsetzen. Misslingt uns die Verkehrswende, werden der stetig wachsende Autoverkehr, der nicht nachlassende Flugverkehr und die globalisierte Container-Schifffahrt der Klimaerwärmung auch weiterhin den Weg bereiten und uns den ökologischen Untergang bescheren“, zeichnet Studienleiter Engartner ein düsteres Zukunftsbild.

„War die Leistungserbringung durch den Staat einst konstitutiv für diesen, ist auch im Bahnsektor seit einem Vierteljahrhundert eine deutlich verstärkte Inanspruchnahme Privater für die Erfüllung vormals öffentlicher Dienstleistungen zu beobachten. Die mit der PSO-Verordnung 2016/2338 implementierte Ausweitung bzw. Stärkung der Marktkräfte hat zur Folge, dass die umwelt-, wirtschafts- und sozialpolitischen Instrumentarien einer nachhaltigen Bahnpolitik ausgehöhlt werden“, lässt Universitätsprofessor Engartner kein gutes Haar an der EU-Bahnliberalisierungspolitik.

„Dem Schienenverkehr gehört die Zukunft! Denn ein gut ausgebauter öffentlicher Bahnverkehr kann einen enormen Beitrag für die Mobilität aller Menschen, gegen den Klimawandel und für die moderne Industrialisierung Europas leisten. Dazu müssen auf EU-Ebene die politischen Rahmenbedingungen gestellt werden. Wir wollen Schluss machen mit der steuerlichen Bevorteilung des Straßen- und Luftverkehrs und in großem Ausmaß in die Schieneninfrastruktur investieren. Gegen Liberalisierung und Ausschreibungszwang werden wir ein deutliches Stopp-Schild aufstellen, denn das wäre schlecht für Reisende und Beschäftigte“, zeigte sich Andreas Schieder, SPÖ-Europaabgeordneter und Mitglied im Verkehrsausschuss im EU-Parlament kritisch gegenüber der EU-Kommission, blickt aber dennoch optimistisch in die Bahn-Zukunft.

Gerhard Tauchner, Vorsitzender des Fachbereichs Eisenbahn in der Gewerkschaft vida sagte bei der Diskussion: „In meiner langjährigen Funktion als Gewerkschafter und Betriebsrat für Eisenbahner hat die Liberalisierung im Bahnsektor nicht für mehr und bessere Jobs gesorgt, sondern für enormen Druck auf die Arbeitnehmerinnen. Insbesondere die langen Arbeitszeiten im Schichtdienst ohne behördliche Kontrollmöglichkeiten befeuern Lohn- und Sozialdumping im interoperablen Schienenverkehr. Deshalb fordern wir etwa einheitliche europäische Ausbildungs- und Sicherheitsstandards aber auch eine digitale Aufzeichnung der Arbeitszeit für Lokführer, wie das bei den LKW-Lenker längst selbstverständlich ist.“

Stefan Hennigfeld
Redaktioneller Leiter
Zughalt e.V.
Siegfriedstr. 24a
58453 Witten
Quelle: Zughalt.de